Irgendwo zwischen nichts und allem – meine Zeit in der Wüste

Marokko – Schnellnavigation
Das erstemal Wüste – wenn “Touri” dann aber richtig
Ich erinnere mich gut an meinen ersten Wüstentrip. Eine klassische Jeep-Tour, wie sie im Katalog steht. Früh los, rein in den Geländewagen, durchgeschaukelt bis zum nächsten Fotospot. Dann ein kurzer Zwischenstopp im Beduinenlager: Frauen backen Fladenbrot für die Kameras, Kinder knüpfen Teppiche für Touristenblicke. Alles fühlt sich irgendwie „authentisch“ an – für fünf Minuten.
Dann geht’s weiter: ein halbstündiger Kamelritt im Gänsemarsch, rauf auf die Düne, Sonnenuntergang, daneben hundert andere mit Kamera. Unten warten die Quads in Reih und Glied und ein Dutzend andere Jeeps.
Damals dachte ich: „Wow, ich war in der Wüste.“ Heute weiß ich: Ich habe ein touristisches Pflichtprogramm abgehakt. Wie tausend andere jedes Jahr.
Nett? Ja.
Wüste? Eher nicht.

5 Tage Wüste: Mit Blasen an den Füßen in die Freiheit
Wie kommt man auf die bekloppte Idee, Erholungsurlaub in der Wüste zu machen?
Über die Jahre hinweg war ich im hektischen Büroalltag gefangen. 13 Monate ohne Urlaub, Anrufe bis abends um zehn, und das ständige Gefühl von Verantwortung auf meinen Schultern. Irgendwann war ich einfach erschöpft. Mein Chef bestand darauf, dass ich Urlaub nehme. Zehn Tage im Februar. Ich erzählte meinem Mann: „Ich will so weit weg, dass mich niemand erreichen kann.“ Er grinste und sagte: „Dann bleibt nur die Wüste oder die Antarktis.“ Die Antarktis war für mein Budget unerreichbar. Also fiel meine Wahl auf die Wüste.
Was als kleiner Spaß begann, wurde zur ernsthaften Entscheidung. Ich begann zu recherchieren. Die üblichen Drei-Tages-Touren waren nicht mein Ding. Ich wollte nicht nur kurz in die Wüste gebracht und dann wieder abgeholt werden. Ich wollte bleiben, abschalten. Und ich wollte ein richtiges Abenteuer.
Funktionsjacken, Zweifel und der Start ins Ungewisse
Dann fand ich eine Tour: fünfeinhalb Tage, zu Fuß durch die Wüste. Zwanzig Kilometer am Tag. Ich war skeptisch – ich, die keine zehn Kilometer am Stück schafft? Aber hey, da waren Reitkamele, und die Guides beteuerten, auch Anfänger hätten es geschafft. Ich buchte einfach.
Am Flughafen fühlte ich mich wie der größte Trottel. Um mich herum Funktionskleidung, Hightech-Schuhe – während ich mit meinen Ängsten zu kämpfen hatte. Was hatte ich mir nur gedacht? Eine Nacht im Hotel, dann ging’s los. Jeepfahrt zur Oase. Und dort wartete sie: unsere Karawane.
Die erste Etappe? Überraschend machbar. Wir sahen, wie die Zivilisation verschwand. Abends halfen wir beim Aufbau: Tiere entladen, Feuerholz sammeln, Zelte aufstellen. Ich lernte Knoten, die halten. Und hatte Spaß – echten Spaß.
Die erste Nacht? Unvergesslich. Sterne wie aus dem Planetarium. Keine Geräusche, kein Licht. Nur Himmel. Und ich – endlich ruhig. Ich fror nicht, weil ich zum Glück einen guten Schlafsack hatte. Gott, war ich froh über diesen Schlafsack.
Am nächsten Morgen: wach, klar, seltsam stolz. Der erste Tag war geschafft, kein Problem.
Dünen, Durchhalten und warum ich fast geheult hätte
Doch dann wurden die Dünen höher und immer höher. 1 Schritt vor, ein halber zurück. Sand bis zu den Waden. Jeder Schritt fühlte sich an wie ein Kampf.
Endlich oben angekommen brach ich fast in Tränen aus. Sand und Dünen soweit das Auge reicht. Also Düne runter, nächste rauf. Irgendwann war ich ziemlich am Ende. Ich übergab mich fast vor Anstrengung. Irgendwann hatten wir es geschafft. Wenn ich zurückdenke, bin ich noch heute stolz auf meine Leistung und im Nachgang war der Blick ganz oben auf der Düne auch wirklich spektakulär.
Blasen an den Füßen, ja die hatten wir alle, selbst die mit Hightech-Schuhen. Der Guide schlug vor: barfuß gehen. Ich zögerte. Scorpione ? Nicht im Winter, ok – dann zog ich die Schuhe aus. Und plötzlich spürte ich den Sand. Warm, weich, lebendig. Wer Natur liebt, muss barfuß durch die Sahara gelaufen sein. Einmal im Leben.
Datteln, Cola und ein Lied, das bleibt
Dann kam dieser Moment: Keine Spuren. Kein Jeep. Kein Geräusch. Nur Sand. Wenn die Berber verschwinden würden, wären wir verloren. Und genau da spürte ich: Ich bin frei. Weil ich nichts kontrollieren kann – und es nicht muss.
Am Feuer sangen die Berber. Nicht für uns – für sich. Wir wurden gefragt, ob wir auch etwas singen könnten. Was für eine beschämende Frage – kein Volkslied kannten wir. Wir waren die Touristen in dieser Szenerie und ein Abbild unserer digitalen Welt. Schließlich entschloss ich mich, „Biene Maja“ anzustimmen. Plötzlich lachten alle, klatschten und machten mit. Das wurde unser Lied. Jeden Abend. Biene Maja in der Wüste – als Brücke zwischen unseren Welten.
Wir trafen Tuareg – echte Nomaden. Keine Papiere, kein System. Ihre Begrüßung war klar: „Brauchst du was?“ Das war ganz anders als das übliche „Hallo“. Zuerst wird gefragt ob du was brauchst und erst dann setzt man sich zusammen. Was für eine Welt. Die Wüste ist ein Ort an dem die Menschen fast nichts besitzen und dennoch ist die erste Frage wenn man jemanden trifft ob er etwas braucht und man gibt gerne. Wir halfen beim Kameletränken und teilten Cola und Datteln.
Wenn Stille laut wird und Freiheit kein Plan mehr ist
Und dann kamen sie: Die Touristen im Jeep. Sauber. Schminke. Hotpants. Musik aus dem Lautsprecher.
Wir saßen da, staubig, müde, lachend. Und sie wirkten wie Besucher auf einem fremden Planeten. Und plötzlich wusste ich: Ich bin nicht mehr wie sie. Ich gehöre gerade hierher.
Der Kontrast war brutal. Vier Tage in der Wüste hatten mich verändert. Ich war nicht mehr dieselbe.
Warum ich wiederkommen will – trotz Sand in der Zahnbürste
Ich habe mich verliebt. Es war nicht nur die Schönheit ihrer Farben, sondern in das Gefühl.
In die Weite. In das Schweigen.
Ich lernte, wie man ein Dromedar bepackt, wie man Feuer macht und im Sand schläft. Aber wichtiger war: Die Momente der Stille, die ich nie erwartet hätte. In der Wüste wird einem klar, dass Stille ziemlich laut sein kann.
Es gibt kein Geräusch und keinen Empfang. Kein ständiges Piepen von Handys oder das Dröhnen von Motoren. Und während ich diese Abhängigkeit erkannte, erlebte ich, was Freiheit wirklich bedeutet.
Ich lernte, nichts kontrollieren zu müssen. Keine Mails, keine Termine. Kein „Das und jenes muss ich noch machen!“ Nur Ich. Jetzt. Hier.
Und das war das Schönste.
Wüste im Teene -Test – Familienurlaub, der funktioniert (ja, wirklich)
3 Tage WLAN-frei – und keiner stirbt daran
Ein Jahr später zog es uns wieder in die Wüste – diesmal mit unserer Teenager-Tochter. Es war Silvester. Warum nur drei Tage? Drei Tage gehen immer. Auch mit Teenager, dachten wir.
Und was soll ich sagen? Unsere Tochter, die es zu Hause nicht ohne ihr Smartphone aushält, war begeistert. Kein Internet, kein TikTok – kein Problem.
Drei Tage, und sie war voll da. Kein Genörgel, kein Gemecker. Nur Staunen.
Musik, Stille und ein Wüstenschiff
An Silvester saßen wir am Lagerfeuer. Kein Feuerwerk, kein Countdown, kein Alkohol. Nur Musik, Trommeln, Stimmen im Takt. Wir tanzten, lachten und wünschten uns ein gutes neues Jahr.
Und dann sah ich meine Tochter, wie sie ums Feuer sprang – barfuß, zerzauste Haare, völlig losgelöst. Kein Blick auf andere, kein Nachdenken, einfach sie selbst. Ich dachte: Genau das. Genau so.
Zwei Welten. Eine Melodie. Kein Übersetzer nötig.
Aber der Text saß. Und der Moment auch. Zwei Welten, eine Melodie. Da braucht’s keine Sprache.
Mittagsschlaf, verschwundene Kamele und erstaunlich viel Gelassenheit
Und wir? Ganz ruhig. Vertrauen. Loslassen. Wieder dieser Moment.
Und die Landschaft? Surreal. Rissige Lehmböden und sanfte Wehen aus Sand. Eine Welt wie gemalt – wunderschön.
Wenn selbst der Teenie sagt: „Nächstes Mal bleiben wir länger“
Am letzten Tag sagte unsere Tochter: „Nächstes Mal bleiben wir länger.“ Und ich wusste: Auch sie hat es gespürt.
Diese drei Tage Wüste waren mehr Erholung als zehn am Strand. Kein WLAN, keine Schulstress, keine Reizüberflutung – nur Sand, Weite und Stille.
Und ja – es klingt verrückt. Aber wer völlig fertig ist, innerlich auf Standby, braucht vielleicht nicht Meer, sondern Wüste.
Keiner glaubt, wie gut das tut – bis er mittendrin sitzt. Ohne Empfang. Und plötzlich wieder bei sich.
Was ich gelernt habe
Die Wüste hat mir nichts erklärt. Aber sie hat mir gezeigt, was ich brauche – und was nicht.
Ich habe dort nicht die Welt verändert, aber mich ein kleines Stück.
Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen. Weniger Lärm, mehr Klarheit. Weniger müssen.
Ich war glücklich. Verzweifelt. Frei. Sehnsüchtig. Verloren. Wach. Müde. Und manchmal alles gleichzeitig.
Ich habe geflucht, wenn der Sand in den Schuhen steckte – und gestaunt, wie still ein Morgen sein kann.
Ich war abhängig von anderen – und genau deshalb gelassener als je zuvor.
Ich war ohne Plan, ohne Empfang, ohne Schutz – und hab mich selten sicherer gefühlt.
Ich habe geschlafen wie ein Stein, gegessen wie nie und gelacht mit Menschen, die ich nicht mal auf Social Media finde.
Und wenn du mich heute fragst, wohin ich nochmals reisen will – dann dorthin, wo nichts ist. Außer Stille. Und Sand. Und Freiheit.
👉 Willst du wissen, wie es sich anfühlt, ein Teil der Wüste zu sein?